Wenn Liebe stärker ist als Vorurteile und Diskriminierung
Als ich nach anderthalb Jahren meine Aufenthaltskarte vor der Abreise aus dem westafrikanischen Land Benin in der zuständigen Behörde zurückgab, sagte der Beamte zu mir: „Oh, schade, wieso bleiben Sie denn nicht länger bei uns in Benin?“ Mein beninischer Mann hingegen wurde, um ein Visum für die Einreise nach Deutschland zu bekommen, in der Deutschen Botschaft einem stundenlangen Verhör unterzogen, in dem ihn der Sachbearbeiter fragte: „Wieso bleiben Sie nicht einfach in Ihrem Land?“
Es wäre also gelogen zu sagen, dass es egal ist, wo wir leben. Aber unsere Liebe war immer stärker als die Bürokratie, die uns manchmal in die Verzweiflung trieb.
Es ist auch gelogen zu sagen, dass wir beide im Heimatland des anderen nicht auffallen würden. Aber während mein Auffallen in Benin ein positives Herausstechen ist (Weiß = viel Geld, gute Bildung, Einfluss, Macht, Erfolg) und mir Zugang zu allen möglichen Menschen und Privilegien verschaffte, machte mein Mann die Erfahrung, dass er in Deutschland auf viele Leute verdächtig wirkt. So kam es, dass ich allein aufgrund meines “Weiß-seins” in Benin in verschiedenen Ministerien zu Gast war, während mein Mann völlig grundlos auf einer deutschen Polizeistation fest saß.
Europäer*innen oder US-Bürger*innen in anderen Ländern nennt man Expats oder Touristen. Nicht-Europäer*innen in anderen Ländern nennt man Migranten, ‚Flüchtlinge‘ oder Einwanderer. Allein die sprachliche Zuordnung zeigt ziemlich deutlich, dass es überhaupt nicht egal ist, wer aus welchen Gründen wohin geht. In der aktuellen Corona-Zeit wird rund um den Urlaub der Deutschen diskutiert, während Menschen verzweifelt vor und an Grenzen festsitzen. Diese Situation zeigt sehr deutlich, in welcher Welt wir leben. Mobilität ist ein Privileg, das nicht jedem zusteht.
Früher dachte ich naiver Weise, dass ich in Benin auch Rassismus erleben würde, wenn die Verkäufer*innen von mir mehr Geld verlangten als von Beniner*innen. Inzwischen weiß ich, dass Rassismus immer mit Macht und Privilegien einher geht. Die Tatsache, dass ich mehr bezahle, liegt daran, dass ich in der Hierarchie als überlegen angesehen werde. Das gleiche gilt für Kultur. Natürlich haben die Leute auch über Deutschland stereotype Bilder im Kopf (Bier, Pünktlichkeit, Fleiß, Spießigkeit usw.). Aber diese Bilder sind dennoch der Ausdruck einer impliziten kulturellen Hierarchie (Europa = zivilisiert, reich und gebildet), wohingegen viele nicht-europäische Länder, gerade afrikanische Länder, immer von oben herab durch eine westliche, exotisierende Brille gesehen werden. Diese Brille beinhaltet Bilder wie „primitiver Trommeltanz“, „arm, aber glücklich“, „wilde Tiere“, etc. und wertet komplexe und vielfältige Menschen und ihre Länder seit der Kolonialzeit ab.
Wenn bei meinem Mann Dinge auf seine „Kultur“ geschoben werden, hat dies in der Tat immer einen abwertenden Charakter. Menschen in Deutschland wollten ihm schon ungefragt „beibringen“, wie man richtig mit Besteck isst, dass man sich regelmäßig die Hände waschen muss oder dass man nach dem Toilettengang spült.
Lange habe ich diese kleinen, manchmal sehr erniedrigenden Details zu ignorieren versucht. Ich habe versucht ihn zu beschwichtigen, wenn meine Familie mal wieder unsensibel war. „Die meinen das nicht so!“ Ich habe versucht, ihn zu einem Menschen zu formen, der jeden Tag in jeder Sekunde beweisen muss, dass er kein exotischer Klischee-Afrikaner ist. Dass er weder trommelt noch tanzt, sondern in seiner Freizeit Algebra-Bücher liest. Dass er sogar Pizza mit Messer und Gabel isst und sich über mich lustig macht, wenn ich mich mal wieder voll kleckere.
Aber irgendwann ist mir aufgefallen, dass wir in diesem Kampf gegen die Gesellschaft zerbrechen und dass mein Mann niemandem beweisen muss, dass er ein Individuum ist.
Was heißt das jetzt für unseren Alltag? Wir ärgern uns immer noch oft über Kommentare von anderen. Wir rollen immer noch mit den Augen, wenn uns Leute fragen, ob in Benin Zebras vor unserem Fenster spazieren gehen und ob es überhaupt Fenster in den Häusern „Afrikas“ gibt. Aber wir sind ein Team geworden. Wir lachen und diskutieren viel, wir hinterfragen und fallen manchmal unangenehm auf. Vielleicht ist es sinnlos immer und immer wieder mit Freunden und Familie die Kontroverse zu suchen. Aber vielleicht sind diese Gespräche in der Summe doch ein paar Denkanstöße, damit unsere Tochter in einer Welt aufwachsen kann, in der sie weniger kämpfen muss, um ernst genommen und akzeptiert zu werden.
© geschrieben von Julia G-Town (Podcast für Binationale Paare und Familien) https://open.spotify.com/show/4YrFFxpLj5luuW9R5P5o3n
Benin, diskriminierung, Individuum, Kultur, Liebe, stereotype Bilder
Anett
liebe Julia,
Ich kann so genau verstehen, was du schreibst. Ich finde es auch immer wieder schockierend wie ignorant meine Mitmenschen gegenüber anderen Kulturen oder Äußerlichkeiten sind. Ich versuche auch nicht mehr meinem Mann, der aus Togo stammt und mittlerweile Deutscher ist, zu erklären, dass der eine Satz und der zugeworfene Blick nicht rassistisch gemeint war; denn die Erfahrung zeigt, das es so ist. Wenn sogar Freunde am abendlichen Lagerfeuer sagen ‘Und wie macht ihr das so im Busch’ dann muss man einfach stark sein und sich sagen ‘der Klügere gibt nach’. Aber es tut weh. Wir kennen eben nur die Klischees des immer fröhlichen Afrikaners, der gerne seinen Hunger wegtanzt. Wenn man dann aber erzählt, es gibt in der Elfenbeinküste 6-spurige Autobahnen oder mal die Hochhäuser etlicher afrikanischer Megacities zeigt, dann fallen die meisten
Menschen vom Glauben ab.
Ich wünsche unseren Männern und vorallem unseren beiden Töchtern, dass irgendwann ein Umdenken stattfindet und sie sich nicht mehr als minderwertig fühlen müssen.
Martina Adler
Liebe Julia,
danke für deinen ehrlichen Artikel. Mein Mann wurde in Indien geboren. Er lebt zwar seit seinem 2. Lebensjahr in Deutschland, aber natürlich kennt auch er die Vorurteile.
Wir sind verheiratet, aber ich habe meinen Namen behalten, weil es leider in vielen Dingen einfacher mit einem deutschen Familiennamen ist (Wohnung mieten, Ebay …) Was haben wir da alles für kuriose Dinge erlebt. Unser Sohn trägt auch meinen deutschen Nachnamen. Wir wollten ihm zukünftige Probleme ersparen. Traurig, dass wir das bereits im Voraus planen mussten.
Viel Glück uns allen!
Liebe Grüße